Im Februar 1994 wurde an der Universität St. Gallen unter dem Titel „Management in der Postmoderne – Phänomene, Unterscheidungen, Perspektiven …“ eine Dissertation vorgelegt, die sich mit der Frage befasst, was man aus der modernen Erkenntnistheorie – Stichworte dazu: „Radikaler Konstruktivismus“, „Second Order Cybernetics“, „Autopoietische Systemtheorie“ –, personifiziert in Namen wie Heinz von Foerster, Gregory Bateson und v.a. Niklas Luhmann, für die Theorie und Praxis des Managements lernen kann.
Aus Sentimentalität und Nostalgie – in Verbindung mit der beim Wiederlesen entstandenen Erkenntnis, dass nicht alles, was mir damals schlau schien, heute komplett dummes Zeug sein muss –, hier einige Inhalte noch einmal zusammengefasst.
LEITIDEE: „Die“ Realität gibt es nicht – sie wird von Beobachtern (die sich gegenseitig beobachten) konstruiert.
- „Beobachten muss und kann Unterscheidungen wählen und es kann in Bezug auf die Unterscheidungen, die es wählt oder auch in Bezug auf die, die zu wählen es vermeidet, beobachtet werden. Das ist die Quelle des Relativismus. (…) Da Unterscheidungen in großer Zahl zur Verfügung stehen und man dasselbe auf sehr verschiedenartige Weise unterscheiden kann, gibt es keine beobachterunabhängig vorgegebene Realität.“ (N. Luhmann)
RESULTIERENDE HERAUSFORDERUNG: Trotzdem (irgendwie) weitermachen (können).
- „Es gibt, kurz gesagt, keine trigonometrischen Punkte mehr, von denen aus mit Anspruch auf unbestrittene Orientierungsgeltung beobachtet werden könnte. Von irgendwoher kann die Konstruktion gesehen, ihre Selektivität registriert und artikuliert werden. Damit ist eine Bedarfslage gekennzeichnet, die Realitätskontrolle auch noch unter der Bedingung polykontexturaler Beobachtungsverhältnisse gewährleisten kann.“ (P. Fuchs)
MÖGLICHE ANSATZPUNKTE FÜR JEDE ART VON „MANAGEMENT“:
- „Soziales Geschehen“ nicht vom Einzelnen, seinen Motiven, Absichten und Ideen, sondern von den faktisch beobachtbaren Austausch- und Kommunikationsprozessen her begreifen.
„Nimmt man das Individuum empirisch ernst, mit all dem, was physikalisch, chemisch, neurophysiologisch und gedanklich zu seiner Realisation beiträgt, (…) schließt das jede anthropologische Fundierung von Sozialtheorien aus.“ (N. Luhmann) - Akzeptieren, dass „rationales Handeln“ weitgehend illusorisch ist.
„Je komplexer ein Entscheider seinen Kausalkontext zu berechnen versucht, desto wichtiger werden die unbeabsichtigten gegenüber den beabsichtigten Folgen und die Beschränkungen gegenüber den Zwecken. Bemühungen um Rationalität verlagern den Schwerpunkt ins Unverfügbare und bringen sich damit zum Scheitern.“ (N. Luhmann) - Nicht glauben, dass man allzu viel Kontrolle über die Dinge hat.
„Ein strikt operativer Ansatz der Systemtheorie (aber ebenso auch jeder Theorie der Zeichenverwendung, also etwas der Sprache) führt zu der Annahme, dass alles, was geschieht, gleichzeitig geschieht. (…) Und Gleichzeitigkeit allen Geschehens heißt: Unkontrollierbarkeit allen Geschehens.“ (N. Luhmann) - Stattdessen lieber anstelle von „Richtigkeit“ auf „Robustheit“ setzen:
„De futuribus contingentibus gibt es keine wahren und falschen Annahmen, sondern nur Unentscheidbarkeiten. (…) Die einzig sinnvolle Strategie ist dann ein Probieren, das sich selbst misstraut und mit Änderungsvorbehalt ausstattet. (…) Man kann nur die eigene Robustheit, und mit ihr die Möglichkeit, sich auf Risiken einzulassen, steigern, und auf diese Weise die Codewerte akzeptabel/nicht-akzeptabel verschieben.“ (N. Luhmann) - Beim Versuch zu verstehen, was passiert, Immer auch schauen, wer welche Interessen vertritt – und wer welche Machtmittel zur Verfügung hat.
„Jede Ernst zu nehmende Analyse kollektiven Handelns muss (…) Macht in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen, denn kollektives Handeln ist im Grunde nichts anderes als tagtägliche Politik. Macht ist ihr ‚Rohstoff‘.“ (M. Crozier / E. Friedberg) - Ambitionierte Planung durch „Einfach mal Probieren“ ersetzen.
„Willst Du erkennen, lerne zu handeln.“ (H. v. Foerster) - Weniger am Ideal des Plans und des Modells als am konkreten Einzelfall orientieren.
„Um gut zu leben, muss man das hören, was es zu hören gibt, und nicht das, was man zu hören erwartet.“ (J. Cage) - Von der Suche nach ‚richtigen‘ Antworten zur Formulierung ‚anderer‘, nicht erwarteter Fragen übergehen.
„Es bekommt immer der die schönere Antwort, der die schwierigere Frage stellt.“ (G. Bateson) - Statt auf Optimierung auf „permanente Störung des Systems“ setzen.
„Alles, was nicht Information, nicht Redundanz, nicht Form und nicht Einschränkung ist, ist Rauschen – die einzige Quelle neuer Muster.“ (G. Bateson) - „Scheitern“ als valide Option akzeptieren.
„Alles ist zu gewinnen aus dem grössten Verlust. Der Geist lebt von Verheerung.“ (L. Aragon)
„Je unlösbarer das Problem, desto grösser sein Reproduktionswert.“ (N. Luhmann) - Den Fokus von Effektivität und Effizienz (80:20) auf Perfektion (100%) verschieben.
„Keine Sache ist von Bedeutung, keine Sache ist wichtig, aber von Bedeutung und wichtig ist, dass Du alles, was Du tust, so gut wie möglich tust. Nur so. Als Übung. Mehr nicht.“ (H. v. Wetering)
Was man als junger Kerl halt so schreibt … :- )